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Zur Entwicklungsmisere in der deutschen Luftwaffe 1939 - 1945

              Der Schwere Bomber

Die Geschichte der hierfür vorgesehenen deutschen Maschine, der Heinkel He 177, ist sehr gut dokumentiert (etwa bei Griehl und Dressel, [1]). Sollte man meinen. Der Misserfolg der Maschine wurde und wird immer wieder der Forderung nach Sturzflugfähigkeit angelastet [2]. Das ist jedoch nicht richtig. Unbestrittenerweise stellt die He 177 den Beitrag der Firma Heinkel zum technischen Entwicklungsdesaster dar.

 

Nachdem die Muster Dornier Do 19 und Junkers Ju 89 sozusagen aus "politischen Gründen" abgesetzt wurden (an dieser Stelle folgen wir der Darstellung von Paul Deichmann [3], der als Zeitzeuge fungiert, nicht derjenigen von Budraß {1} [4]), gab das RLM mit dem "Bomber A" eine neue Leistungsanforderung heraus [5]. Heinkel ant-wortete mit seinem Projekt 1041, aus dem die He 177 werden sollte. Der ehrgeizige Ernst Heinkel profilierte sich gern mit Geschwindigkeitsrekordmaschinen (He 100), dem ersten Düsen- (He 178) und dem ersten Raketenflug-zeug (He 176). "Bomber A" gab ihm die Möglichkeit, eine weitere Rekordmaschine vorzulegen [6]. Die errechne-ten Leistungsdaten waren so überragend, dass Konkurrenzentwürfe erst gar nicht zum Bau zugelassen wurden. Von Sturzflugfähigkeit war in der Anforderung "Bomber A" noch gar keine Rede!

 

 

 

 

 

 

 

 

Zur Aerodynamik sollte die Zusammenfassung von zwei Motoren in eine Gondel in der He 177 entscheidende Vorteile bringen [7]. Erst dadurch kam Ernst Udet überhaupt darauf, von der Maschine die Sturzflugfähigkeit zu fordern, denn sie schien technisch umsetzbar [8]. Entgegen seiner eigenen Darstellung [9] hatte Ernst Heinkel in Wirklichkeit damit keine Probleme [10]. Schien doch die Erfüllung dieser Forderung weitere Meriten zu verspre-chen.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Auch der schwere Bomber "krankt" am Problem aller Arten von Bombern, die horizontal angreifen: die Treffer-wahrscheinlichkeit ist gering [11], wenn auch der schwere Bomber Vorteile infolge seiner höheren Zuladung be-sitzt und mit der Streuung einer größeren Anzahl Bomben eine statistisch höhere Trefferausbeute erzielen sollte. Nach diesem Prinzip arbeiteten die erfolgreichen alliierten Muster. Nur gab man sich deutscherseits nicht mit solchen Aussichten zufrieden.

 

Um die neue Motorkonfiguation zu testen, entwickelte Heinkel eine besondere Maschine, die He 119 (hier folgen wir wiederum Budraß {1}[12]), die ihrerseits Rekorde aufstellte und als Schnellbomber zumindest im Gespräch war. Der Doppelmotor Daimler-Benz DB 606 funktionierte, in die He 119 eingebaut, ausgezeichnet.

 

Was sich beim Einbau in die He 177 allerdings nicht wiederholen sollte. Motorschwierigkeiten und wenig sinn-volle Detailkonfigurationen plagten die Maschine lange Zeit, sodass ein geordneter Testbetrieb kaum möglich war. Das lag zum Einen an der übertriebenen aerodynamischen Ausgestaltung der Maschine [13], zum anderen an der schlampigen Arbeit innerhalb der Firma Heinkel, die sich gern schneller Erledigung ("Heinkel-Tempo", [14]) rühmte. Heinkel lieferte die Maschinen serienweise technisch unklar ab [15]. Auch die Änderungsforderungen des RLM trugen zu den Schwierigkeiten weniger bei als meistens behauptet [16]. Heinkel hatte eine Rekordma-schine angeboten, keinen Bomber. Auf militärische Belange war bei der Konstruktion zu wenig Rücksicht genom- men worden. Dass die Maschine durch erforderliche Einbauten [17] nicht schneller und nicht höher fliegen würde als im "Rekordzustand", lag auf der Hand. Für diese Belange wären aber Schnell- und Höhenbomber vorzusehen gewesen.

 

 

 

 

 

 

 

Sehr spät, aber schließlich doch führte eine geringe Anzahl Änderungen [18] zum Erfolg. Die Sturzflugforderung wurde dabei nicht angetastet, die Maschine war im Herbst 1942 tatsächlich sturzflugfähig [19]. Aber zu diesem Zeitpunkt wurde die Forderung fallengelassen [20]. Die Einsatzfähigkeit der Maschine war dann für März 1943 endlich absehbar [21]. Mittlerweile hatte sich herausgestellt, dass sie mit den verwendeten DB 606-Doppelmo-toren im "Ein"motorenflug nicht in der Luft zu halten war [22]. Es musste auf den stärkeren DB 610 umgestiegen werden. Der hatte allerdings schon wegen der Probleme des verwendeten Einzelmotors DB 605 seine ganz be-sonderen Tücken. Ende 1943 war die Einsatzfähigkeit der Maschine endlich einigermaßen erreicht, und sie stell-te ihre Qualitäten heraus ("kein einziger Verlust über London" [23], erfolgreiche Flugkörperangriffe [24]).

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Heinkels ambitionierte Konzepte scheiterten gegenüber dem RLM reihenweise, und so legte er seinem Chef-konstrukteur Heinrich Hertel im März 1939 die Kündigung nahe. Hertel ging zu Junkers [25], und auch Hertels Nachfolger Robert Lusser brachte die Maschine bis Ende 1941 nicht entscheidend vorwärts. Lusser verließ Heinkel ebenso, und das RLM unterstellte die Betreuung der He 177 extern - ausgerechnet an Heinrich Hertel [26]. Der nannte die Maschine "lieblos hingerotzt" [27]. Na, der hatte es nötig...

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Obwohl die Parallelentwicklung He 179 mit vier Einzelmotoren mangels Aussichten zur Sturzkampffähigkeit ab-gewürgt worden war [9], konnte sie infolge Verzichts auf diese Forderung als He 177 B wieder zur Entwicklung aufgenommen werden [28]. Diese Version zeigte Ende 1943 überragende Flugleistungen [29] und war mit wen-igen Änderungen als He 277 noch am 25.05.1944 zum Serienbau vorgesehen [30]. Wie alle anderen Bomber auß-erhalb der Schnellbombersparte fiel sie dem allgemeinen Verzicht auf die Bomberfertigung vom 28.06.1944 [31] zum Opfer.

 

Abgesehen von der Fehlentscheidung zu Anfang kann man beim schweren Bomber keine verzögernden Eingriffe des RLM durch rein willkürliche Änderungsforderungen erkennen (die gegenteiligen Aussagen Ernst Heinkels [16] werden hier bestritten). Jedoch sicher mangelnden Nachdruck in Richtung richtige Entwicklung. Kommu-nikationsschwierigkeiten zwischen den beteiligten Firmen und dem Ministerium taten ein Übriges. Die Generäle der Kampfflieger Baumbach [32] und Peltz [33] wollten die Maschine nicht. Als sich eine Lösung abzeichnete, war es zu spät.

[1] Manfred Griehl, Joachim Dressel, Heinkel He 177-277-274, Eine luftfahrt-geschichtliche Dokumentation, Motorbuch Verlag, Stuttgart 1993.
[2] z.B. Sönke Neitzel, Der Einsatz der deutschen Luftwaffe über dem Atlantik und der Nordsee 1939 - 1945, Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1995, S. 20. Boog {1}, S. 189.

 

 

[3] Paul Deichmann, Der Chef im Hintergrund, Ein Leben als Soldat von der preußischen Armee bis zur Bundeswehr, Stalling Verlag, Oldenburg-München-Hamburg 1979, S. 78 - 86.

[4] Budraß {1}, S. 528f Anm. 202, macht eine Haushaltskürzung des Jahres 1937 geltend. Budraß führt Deichmann in seinem Literaturverzeichnis auf, zi-tiert ihn an dieser entscheidenden Stelle aber nicht.

[5] Volker Koos, Der Weg zur Heinkel He 177 – der „Greif“ wird flügge, Arbeits-gemeinschaft Dt. Luftfahrthistorik, Quellenangabe #2, 03.06.1936. Aus dem Internet herunterladbares PDF.  (<- Link)

[6] In der frühen Auslegung "Die Stirnfläche der Maschine sollte möglichst klein werden, um gute (Geschwindigkeits-) Leistungen zu erzielen" sowie "Statt der im Projekt bisher vorgesehenen vier Mann Besatzung sollte eine Kabine für drei Mann verwendet werden, was die Beweglichkeit der Bugbewaffnung ausschloss" (Koos, zu Quellenangabe #5, Besatzungsanordnung auch bei Griehl-Dressel, S. 14) erinnert die Maschine eher an einen Schnellbomber oder Heinrich Hertels späteres "Bomber B"-Projekt Junkers Ju 288.

[7] Ernst Heinkel, Stürmisches Leben, herausgegeben von Jürgen Thorwald, Mundus-Verlag, Stuttgart, keine Jahresangabe (Sonderausgabe Europäischer Buchclub), S. 358, schreibt die Idee seinem Ingenieur Siegfried Günter zu. Im Übrigen kann man davon ausgehen, dass Heinkel seine Memoiren zu seinen Gunsten geschönt hat.

[8] Ds., S. 360. Heinkel nennt auf S.378 die Sturzflugforderung "nachträglich". Details bei Koos datiert auf den 26.11.1937 zu Quellenangabe 13.

[9] Ds. Heinkel zu Udet: "So ein Riesenflugzeug kann doch kein Sturzbomber werden!" (ebenso S. 360). Weiter soll Siegfried Günter sich auf einmal gegen die Verwendung von Doppelmotoren und gegen die Sturzflugforderung ausge-sprochen haben (S. 364). Ds. die Ablehnung des Generalstabs der Luftwaffe einer "normalen viermotorigen Maschine", das sinngemäß auch bei Griehl-Dressel, S. 15.

[10] Noch im September 1942 versuchte Heinkel, die Maschine in der vorhan-denen Konfiguration Göring schmackhaft zu machen (Neitzel, S. 20, 147f).

[11] So der Generalstabschef der Luftwaffe Jeschonnek expressis verbis zu Deichmann, siehe dessen Schrift S. 88.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

[12] Budraß {1}, S. 624.

 

 

 

 

[13] Heinkel, S. 359, als Kritik gegen Hertel, der "Höchstgeschwindigkeiten erreichen" bzw. aus der Maschine ein "Rennpferd" (S. 379) machen wollte. Siehe auch Anmerkung [6]. Der Motorenhersteller Daimler-Benz war zwar an der Problematik nicht komplett unschuldig, hatte zunächst minderwertige Motoren geliefert (Griehl-Dressel, S. 17, 23). Zumindest, was den DB 606 betrifft, herrscht heute Konsens, dass die Probleme am Einbau lagen, nicht am Motor.

[14] Heinkel, S. 52.

[15] Edgar Petersen (Unterzeichner), Bericht der Erprobungsstellen über den bisherigen Erprobungsvererlauf He 177 vom 17.08.1942, S. 2f. (<- Link)

Fund kursierte im Internet. Beim Bundesarchiv unter RL 3/1631.

[16] Eingriffe einer "mehrerer Dutzend Referenten des [Reichsluftfahrt-]Mini-steriums", die angeblich zu zahlreichen Änderungen führten (Heinkel, S. 381), sind dem Verfasser aus anderen Quellen nicht bekannt.

[17] Petersen schreibt von "notwendigen" Änderungen, [15] S. 3.

[18] Griehl-Dressel, S. 91, 149 (Strichliste).

[19] Ds., S. 52. Die Sturzflugeigenschaften waren sogar besser als die der Junkers Ju 88 (so der Testpilot Hauptmann Mons in Kehrt (s.u.), S. 307f. Mons dort allerdings negativ zur Sturzflugsicherheit aufgrund eines Unfalls. Dieser kann aber nicht innerhalb eines Tages (angegebene Frist) ausreichend untersucht worden sein).

[20] Görings Rückzieher Griehl-Dressel, S. 52.

[21] Petersen, S. 5.

[22] Griehl-Dressel, S. 26, 91.

[23] 440228 377 - 378

[24] Martin J. Bollinger, Warriors and Wizards, The Development and Defeat of Radio-Controlled Glide Bombs of the Third Reich, Naval Institute Press, Anna-polis MD, 2010, z.B. S. 78, Versenkung der MV Marsa am 21.11.1943 (auch bei Griehl-Dressel und Neitzel), S. 82ff Versenkung der HMT Rohna am 26.11.1943 bei an die 1.200 Opfern und gravierenden eigenen Verlusten. Der für den Flugkörperangriff erforderliche Präzisionsflug erlaubte keine Absetz- oder Abwehrbewegungen und lieferte die Maschinen feindlichen Jägerangrif-fen aus.

[25] Budraß {1}, S. 624f. Ob die Aufforderung zur Kündigung an Hertel (vorder-gründig wegen seiner aufwändigen Arbeitsweise) gerechtfertigt war (Heinkel, S. 315f) oder eine "schwere unternehmerische Fehlentscheidung" (Budraß) darstellte, ist aus der Sicht von uns Nachgeborenen schwer zu beurteilen. Vermutlich hat es eine wesentliche Rolle gespielt, dass die von Hertel zu ver-antwortetenden Heinkel-Entwürfe 100, 112, 118 und 119 beim RLM durchge-fallen waren, wofür Heinkel Hertel die Schuld gab. Bomber lagen Heinkel nicht (S. 318) und das Scheitern der He 112 traf ihn persönlich (S. 317).

[26] Griehl-Dressel, S. 7.

[27] Ds., S. 90.

 

 

 

[28] Ds., Kapitel ab S. 144. [29] Ds., S. 152, 440228 377 - 378.

[30] Heinkel, S. 387. Dort ohne Quellenangabe. Nachweis findet sich in Bun-desarchiv RL 3/2581, Nrn. 21-29. Bei der von Göring angesprochenen "He 177 viermotorig" muss es sich nach den Details der Ausführungen von Heinkel- Di-rektor  [Karl] Schwärzle[r] und Entwicklungsstellen-Chef Petersen um die He 277 handeln. (Link oben ab "RL 3...")

[31] Boog {1}, S. 147.

 

 

[32] 430820 337 - 343. [33] 430709 316 - 330.

 

Neu hinzugekommene Literatur:

Christian Kehrt, Moderne Krieger, Die Technikerfahrungen deutscher Militärpiloten 1910-1945, Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn u. a. 2010.